Nerone
Drangsal und Not bestimmten sein Leben, eine Tortur von Geburt an, in einer kinderreichen
Familie, in der Elend und moralischem Verfall Vorschub geleistet wurde und ein
alkoholkranker Vater lieber die Hunde fütterte als für die eigenen Kinder zu sorgen.
Nerone weiß, dass er stark genug ist um sich zur Wehr zu setzen, aber in seinem Kampf
eifert er seinem Vater nach und sucht Trost im Alkohol. Er würde gerne die Welt verändern,
kämpft aber mit den Ungerechtigkeiten einer korrupten Gesellschaft. Aus der
Sakristei einer entweihten Kirche vertrieben, in der er seine Möbelpolierwerkstatt eingerichtet
hatte, setzt er das Gebäude in Brand und erhält so den Spitznamen Nerone.
In seiner Jugend ist er eine Zeit lang Ligabues Fahrer, er verteidigt ihn, weil er seine
Schwäche als Mann in einer diskriminierenden Gesellschaft versteht, gleichzeitig erkennt
er seine Größe als Künstler und die Funktion der Kunst als möglichen Weg der
Erlösung und des Heils, auch für sich selbst. Er beginnt zu malen, mit „dem Regenbogen
der Farben Ligabues „ in seinen Augen. So erinnert sich Davide Lajolo an seine Begegnung
mit Nerone in seinem Buch Gli uomini dell‘arcobaleno (Die Männer des Regenbogens),
einem langen Bericht über die Maler, die er liebte, das ich 1984 mit einem Vorwort
von Renato Guttuso veröffentlicht habe.
Vom heiligen Feuer der Kunst durchdrungen, verspürt Nerone einen unbändigen Schaffensdrang,
was ihm selbst all jene, die ihn kennen, nicht zutrauen, meinen sie doch zunächst
ungläubig, dass nicht wirklich er es ist, der malt, sondern seine Bilder vielmehr
Werk eines anderen Künstlers sind. Seine Teilnahme am Wettbewerb Premio dei Naïfs
von Luzzara ist sehr erfolgreich, selbst der Schirmherr Cesare Zavattini findet schmeichelhafte
Worte für ihn.
Die Freundschaft mit Lajolo ist für Nerone von grundlegender Bedeutung, denn seinem
Einfluss und seiner moralischen Unterstützung ist es zu verdanken, dass der Künstler
dem Alkohol entsagt und sich ganz der Malerei widmet: 1977 realisiert er den ersten
Zyklus von 14 außergewöhnlichen Werken mit dem Titel Der Kreuzweg der Betrunkenen
und verbannt damit die Dämonen des Weines. Es folgen weitere, darunter 50 Leinwände
zu Ariostos Gedicht Orlando Furioso (1980), die ich 2020 in der Casa del Mantegna in
Mantua in einer Ausstellung präsentierte, der letzten, die von Nerone selbst eröffnet
wurde.
Zahlreiche Ausstellungen, Auszeichnungen und Dokumentarfilme über sein Leben haben
Nerone in Italien und darüber hinaus bekannt gemacht. Erwähnenswert ist der Preis
für seine herausragende künstlerische Karriere, der ihm 1996 von Gouverneur G. E. Pataky
im Metropolitan Museum of Art in New York verliehen wurde.
Nerone war aber nicht nur Maler, er war auch Bildhauer, Schriftsteller und Dichter. Er
schrieb mehrere Romane, viele davon mit biografischem Hintergrund, in denen er uns
die ungeschminkte Wahrheit seiner Odyssee erzählt.
Eine zweifellos facettenreiche Persönlichkeit, eine Naturgewalt, die es verstanden hat,
ihre Welt mit verschiedenen Malstilen zu interpretieren, von figurativ über informell bis
abstrakt, konsequent und vor allem echt.